Sinnvoll im Kampf gegen „Hate Speech“? Kurze Einschätzung zum Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetz

Der Referentenentwurf wurde überarbeitet, die Einschätzung ebenso.

Vergangene Woche hat Bundesjustizminister Heiko Maas einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem sogenannte Hate-Speech in sozialen Netzwerken eingedämmt werden soll.

Das Gesetz betrifft Internetplattformen, die es Nutzern ermöglichen, „beliebige Inhalte mit
anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, wenn diese mit dem Ziel betrieben werden, Gewinne zu erwirtschaften. Mit dieser Definition sind nicht nur soziale Netzwerke vom geplanten Gesetz betroffen, sondern auch Instant-Messaging-Apps wie WhatsApp, Speicheranbieter wie Dropbox, Email-Dienstleister wie GMX und Gmail, sowie Anbieter von Usenet-Gateways.

Das Gesetz wird nur Netzwerke ab 2 Millionen Benutzer in Deutschland betreffen. Das bedeutet, dass es beinahe unmöglich wird, ein neues soziales Netzwerk aufzubauen, weil der Betreiber beim Überschreiten dieser Grenze zusätzlichen Mehraufwand aufgehalst bekommt. Die Marktstellung der bestehenden Netzwerke wird gestärkt, neue Netzwerke oder auch Email-Provider können kaum aufgebaut werden.

Neben einer Berichtspflicht über die Einhaltung des Gesetzes werden soziale Netzwerke verpflichtet, eine Beschwerdestelle über Rechtsverletzungen einzurichten. Nach Eingang einer Beschwerde müssen „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 24 Stunden, und „rechtswidrige Inhalte“ innerhalb von 7 Tagen gelöscht bzw. der Zugang dazu gesperrt werden.

Die Liste der Straftaten, die unterbunden werden soll ist relativ lang, es handelt sich um folgende Paragraphen aus dem Strafgesetzbuch (StGB):

  • § 86 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen
  • § 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen
  • § 90 Verunglimpfung des Bundespräsidenten
  • § 90a Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole
  • § 111 Öffentliche Aufforderung zu Straftaten
  • § 126 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten
  • § 130 Volksverhetzung
  • § 140 Belohnung und Billigung von Straftaten
  • § 166 Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
  • § 185 Beleidigung
  • § 186 Üble Nachrede
  • § 187 Verleumdung
  • § 241 Bedrohung
  • § 269 Fälschung beweiserheblicher Daten

Dabei fällt auf, dass § 130a (Anleitung zu Straftaten) nicht enthalten ist, fällt doch unter diesen Paragraphen die traditionell mit den Gefahren des Internet verbundene Verbreitung von Bombenbauanleitungen. Möglicherweise ist das auch Absicht, waren Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Anarchist Cookbook um 1990 der Startschuss für eine politische Netzgemeinde, deren erster Höhepunkt die Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace von 1996 war.

Aufwand bei den „sozialen Netzwerken“

Durch die kurze von 24 Stunden bei „offensichtlichen Rechtsverletzungen“ benötigen soziale Netzwerke eine Heerschar von Anwälten, die auch am Wochenende erreichbar sein müssen. Mit der weit gefassten Definition von sozialen Netzwerken betrifft das neben den großen sozialen Netzwerken Facebook, Twitter, Pinterest, Youtube, Instagram, Xing, Snapchat auch Messenger wie Skype, WhatsApp, iMessage, Speicheranbieter wie DropBox, Email-Anbieter wie Gmail, GMX, web.de, und große One-Click-Hoster.

Das Problem ist, dass Gerichte für die Prüfung der Straftaten aus dem Katalog meist länger brauchen als die im Gesetz vorgesehene Frist von insgesamt 7 Tagen. Wenn die Dienstleister die Prüfung schneller vornehmen müssen, werden sie im Zweifelsfall die Inhalte eher löschen oder sperren als sie weiter online zu halten.

In der Praxis wird es wohl dazu kommen, dass Inhalte deutlich schneller gesperrt werden und die Richtlinien der Netzwerke entsprechend angepasst werden.

Wenn das Gesetz in Kraft tritt, werden sicherlich bald Begehrlichkeiten geweckt, die Liste der Rechtsverstöße zu erweitern. Damit werden private Dienstleister nicht nur zu Hilfspolizisten, sondern de facto zu Privatgerichten, die Büchse der Pandora wird geöffnet.

Sinnvoller wäre es, einen einstweiligen Rechtsschutz bei den entsprechenden Straftaten einzuführen, der vor einer Verurteilung die Löschung der Inhalte vorab mit einer Beweissicherung für ein späteres Verfahren in der Hauptsache beschleunigt.

Auswirkungen für User

Ein Problem bei sozialen Netzwerken sind willkürliche und nicht nachvollziehbare Sperrungen von Inhalten durch die Dienstleister. Häufig wird zusätzlich der Nutzeraccount für eine begrenzte Zeit ebenfalls gesperrt.

Was für Privatpersonen ärgerlich ist, wird für Menschen, die Geld mit sozialen Netzwerken verdienen, eine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz. Das können dann unabhängige Produzenten von Youtube-Videos sein oder auch Social-Media-Manager von Unternehmensaccounts sein, wenn sie diesen mit einem privaten Profil administrieren.

Auch hier wäre eine rechtliche Regelung sinnvoller, die Plattformen ab einer bestimmten Marktdurchdringung zu klaren Richtlinien verpflichtet, so dass sie Accounts eben nicht willkürlich sperren dürfen.

Die Autorin und Bachmann-Preisträgerin Stefanie Sargnagel wurde schon mehrfach von Facebook gesperrt, weil andere User sie bei Facebook gemeldet hatten. Dabei zeigt sich, dass im Zweifelsfall eher gesperrt wird als nicht, der Willkür der Netzwerke sind die User schutzlos ausgeliefert. Mit einer konzertierten Aktion ist das relativ leicht möglich.

Ausgelöst wurde die letzte Sperre durch den Bericht eines österreichischen Boulevard-Blatts, das Adresse und Informationen über die Schriftstellerin veröffentlicht hat, die man als Aufruf zu Straftaten sehen kann. Das geschah völlig unabhängig von sozialen Netzwerken.

Apropos Österreich: Dort wurde ein Gesetz gegen Fake-News abgeschafft, weil es in der Praxis nicht durchsetzbar war. In Deutschland wurde ein solches Ende des vergangenen Jahres vom Bundesjustizminister gefordert. Wir freuen uns schon auf den Entwurf. Nicht.

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